Über Film sprechen III

Eine Lehrveranstaltung von Dr. Hilde Hoffmann



Im Kino gewesen. Geweint.

Mit diesem verheißungsvollen Seminartitel wurde unser Interesse geweckt. Ein Seminar am Freitagabend ist erfahrungsgemäß eigentlich nicht das, was sich ein durchschnittlicher Student wünschen würde. Und doch wirkte die Aussicht auf „weniger Theorie und mehr Film“ durch den alternierenden Kino- und Seminarbesuch für uns teilnehmende Studierende offenbar verlockend. Der erste Eindruck war, dass sich hier eine Gruppe gefunden hatte, die nicht nur gerne ins Kino ging, sondern die es auch liebte über das eigene Filmerleben zu sprechen.

Bunte Mischung

Auch die Zusammensetzung der Studenten im Seminar versprach interessante Diskussionen. Denn neben Medienwissenschafts-Studenten der RUB nahmen auch Bochumer Studenten der Geografie und der Literaturwissenschaft sowie Erasmus-Studenten aus Ungarn und Österreich teil.
So unterschiedlich die Teilnehmer waren auch die Erwartungen und Ansprüche an das Seminar. Während Studenten aus anderen Disziplinen das Hobby „Kino“ gerne einmal von einer filmwissenschaftlichen Perspektive aus betrachten wollten, war eine häufige Erwartung der Medienwissenschaftler gerade die Praxisnähe, die sie sich vom Seminar erhofften. Für sie schien es zudem besonders relevant zu sein, sich für eine potenzielle Laufbahn rund um den Film mit einer sprachlichen Kompetenz auszustatten, die es ermöglichen sollte sowohl fachlich fundiert als auch allgemeinverständlich über Film zu sprechen.

Über Filme sprechen

Doch wie viel Theorie und wie viel Emotionalität sollte sich hinter der Ellipse „Geweint.“ des Kafka-Zitats verstecken? Für Medienwissenschafts-Studenten sollte das Sprechen über Filme eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch als solcher, gerade wenn man sich in einem fortgeschrittenen Semester befindet, ist das Vokabular, das man beim Sprechen über Filme benutzt, oft ein sehr eingeübtes und auf Wissenschaftlichkeit bedachtes. Ein subjektives und emotionales Erleben eines Films bleibt dabei oft ausgeklammert.
Als Film-„Fan“ hingegen ist man gewohnt sich immer wieder aufs Neue mit Gleichgesinnten zwanglos über das eigene Filmerleben und das der anderen auszutauschen. Bei einem Kino-Besuch kann man dies immer wieder erfahren: Über die vermeintlich besten und schlechtesten Szenen, die traurigsten Stellen, die eindrucksvollsten Bilder, die interessantesten Wendungen, lustigsten Szenen und besten Dialoge tauscht man sich oft schon beim Verlassen des Kino-Saals aus. Man entdeckt gemeinsame und unterschiedliche Perspektiven auf den Film, versucht zu enträtseln. Die einen bemäkeln einen Film und wieder andere verteidigen ihn. Und sogar ein schlechter Film kann durch einen genussvollen gemeinsamen Verriss für das enttäuschende Filmerlebnis entschädigen.

Altes und Neues

Das Kinoerlebnis ist für viele ZuschauerInnen untrennbar mit einem Sprechen über das Gesehene verbunden, ganz gleich, ob ein Film in einem Multiplex-Kino oder auf einem Dokumentarfilm-Festival angeschaut wurde. Dennoch schien gerade dieses Sprechen über den Film in einem diffusen Raum zwischen subjektivem, emotionalem Filmerleben und wissenschaftlicher Analyse für jeden der Seminar-Teilnehmer etwas Neues zu sein.

So liefen die ersten Diskussionen nach den Kino-Besuchen im Dortmunder Programmkino „Roxy“ etwas schleppend an. Nach dem Film nippten die meisten etwas verlegen sinnierend und schweigsam an ihren Getränken. Wie konnte man über den Film sprechen? Wie viel Empfinden und wie viel Analyse kann und sollte man in seine Äußerungen einfließen lassen? Sich direkt nach dem Filmerlebnis zu äußern – ohne zuvor eine (film-)wissenschaftliche Theorie erarbeitet oder einen auf den Film bezogenen Text gelesen zu haben – das war eine für uns völlig neue Methode. Noch dazu waren die meisten der Filme aus dem aktuellen Programm und liefen nicht besonders lange. Ein Recherchieren war also keine Option.

Vor allem dieser filmwissenschaftliche Sprung ins kalte Wasser stellte sich nach dem anfänglichen verlegenen Schweigen der ersten Diskussionen als Bereicherung heraus. Zur Unbefangenheit gezwungen musste man neue Wege gehen. Oft kam bei mir das Gefühl auf, das wir bei späteren Diskussionen den Film erst einmal wirken ließen, bevor wir den anderen unser Filmerleben mitteilten. Das anfängliche Schweigen verlor an Verlegenheit und unser Gedankenaustausch gewann an Leichtigkeit.

Unterschiedliche Perspektiven

Das Besondere der Film-Gespräche war die Feststellung, wie unterschiedlich manche Filme wahrgenommen wurden. Vor allem unser erster gemeinsam geschauter Film, Barbara (D 2012, Christian Petzold), ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Hier verblüffte mich eine Beobachtung der anderen Teilnehmer, dass die diegetischen Geräusche im Film maßgeblich die Stimmung des Films mitgestalteten. Ich selbst hätte diese Dinge zuvor nie in den Fokus meiner Überlegungen genommen. Ich war es einfach zu gewohnt, den Film als hauptsächlich visuelles Medium und den Ton des Films nur inhaltlich als Dialog oder Musik zu betrachten.

Auch in den folgenden Diskussionen bereicherten gerade diese heterogenen Filmerlebnisse unsere Gespräche. Im Anschluss an die Filmbesprechung, die direkt im Kino stattfand, musste eine Auswahl für die kommende Seminarsitzung getroffen werden: Welche Details des Films eigneten sich für eine nähere wissenschaftliche Betrachtung? Was hatte uns so sehr fasziniert oder bewegt, dass man sich als Gruppe näher damit beschäftigen wollte um es den anderen Seminarteilnehmern zu präsentieren? Dies führte teils zu überraschenden Betrachtungen über Geräusche von Wind und Wasser bei Barbara und einer geografischen Einordnung des diegetischen Raums in Reservoir Dogs (USA 1992, Quentin Tarantino), aber auch zu der Anwendung bekannter und bewährter Konzepte wie dem unzuverlässigem Erzählen (El nido vacío, ARG 2008, Daniel Burman) oder der Intertextualität (Reservoir Dogs).

Dafür werden Filme gemacht

Resümierend erinnere ich mich, wenn ich an unser Seminar denke, immer wieder an eine Trailer-Kampagne der deutschen Filmwirtschaft: „Kino. Dafür werden Filme gemacht.“ (http://www.youtube.com/watch?v=ndxXzSLKAcM). Um die Faszination für das Kino greifbar zu machen, wurden dort unterschiedlichste ZuschauerInnen gezeigt, deren Filmerleben in Untertiteln beschrieben wurde. Beispielsweise sieht man eine Reihe schluchzender Frauen, während der Text „Sie weinen am liebsten gemeinsam” eingeblendet wird. Stellvertretend für unser Seminar kann jedoch der wild gestikulierende Mann am Ende des Trailers gelten, der seinen Freunden mithilfe pantomimischer Einlagen erzählt, was er im Kino gesehen und erlebt hat. „Sein Film läuft die ganze Nacht” lautet der entsprechende Untertitel und verdeutlicht, dass gerade das Sprechen über den Film zu den Besonderheiten der Filmrezeption gehört. Die gemeinsame Basis hierfür sind nicht nur Vorlieben für bestimmte Filme, sondern vor allem ein implizites Filmwissen. In unserem Seminar konnten wir die Erfahrung machen, wie man eine Diskussion auf dem Filmwissen aufbaut, das wir zum großen Teil kollektiv teilen. Das Sprechen über das Filmerleben machte aufmerksam und neugierig auf andere Sichtweisen. Ich werde in Zukunft versuchen anders hinzuschauen. Und hinzuhören.

Natalie Wölfel

Besonderer Dank an das Roxy Kino, Dortmund



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