Zusätzliche Seminarangebote

Folgende Seminare von Herrn Balke werden zusätzlich angeboten:

051 732 Regieren und Dokumentieren. Von den Staatstafeln zum
E-Government
2st., Mo 14-16, GABF 04/611
Gegenstandsmodul: Print
Systematisches Modul: Mediengeschichte

Kommentar
Staaten verfügen über Medien, mit deren Hilfe es ihnen gelingt, die auf ihrem Territorium lebende Bevölkerung zu registrieren, zu kontrollieren und zu sortieren. Im Mittelpunkt des Seminars steht die Bestandsaufnahme spezifisch politischer Dokumentationstechniken, die von der statistischen Erfassung kollektiver Lebensprozesse (Geburten- und Sterberaten, Migrationsbewegungen, ökonomische Wachstumsvorgänge etc.) bis hin zur autoritativen (‚standesamtlichen‘) Zuschreibung von lebenslangen und legalen Identitäten (‚Adressen‘) der Bürger reicht. U.a. sollen die folgenden Fragen geklärt werden: Welche „Scheine“ und Registriermethoden wurden seit dem Mittelalter entwickelt, um das Volk, noch bevor es zum Träger der öffentlichen Macht in der Demokratie wurde, zu erfassen und im bürokratischen Funktionsvollzug der entstehenden Territorialstaaten darstellbar zu machen? Wer ist wer? Und womit kann er es beweisen bzw. sich ausweisen? Welche „Signaturen“ (G. Agamben) entwickelt der moderne Staat, um eine stabile öffentliche Kommunikations- und Tauschordnung zu garantieren (Geldscheine, Reisepässe, Briefmarken) und wie schützt er sich gegen ihre Fälschungen? Steckbrief, Ausweis, später dann Foto, Fingerabdruck und weitere biometrische Daten gehören in die Geschichte der politisch-polizeilichen Bezeichnungspraktiken und Kontrollregimes, die beliebige Existenzen zertifizieren, d.h., sie mit einem legalen Statut versehen und von Illegalen oder ‘Papierlosen’ unterscheiden. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Ausbreitung und Digitalisierung der Signaturen, die nicht nur die Identität von Menschen, sondern von allen möglichen Dingen bzw. Gütern festlegen, denen ein politisch-verwaltungstechnischer oder – im Zeitalter von E-Government – ein ökonomischer Wert beigemessen wird. Welche Standards und Architekturen werden für E-Government-Anwendungen entwickelt und wie ist die propagierte grenzüberschreitende „Neue Erreichbarkeit“ des elektronischen und tendentiell papierlosen Verwaltungshandelns und ihr Eindringen in die sogenannten Social Media einzuschätzen?
Ein elektronischer Reader mit zentralen Texten zur Geschichte der medialen Regierbarmachung wird zu Beginn des Semesters im Blackbord hochgeladen.

051 733 Qualitätsserien I: The West Wing. Anatomie einer Serie und
ihrer Politik
2st., Mo 10-12, GA 1/138
Gegenstandsmodul: Rundfunk
Systematisches Modul: Ästhetik und Technik

Kommentar
Die zwischen 1999 und 2006 zur Prime Time auf NBC ausgestrahlte Serie The West Wing entfaltet in 156 Episoden ein zugleich populärkulturelles und systematisches Reflexionswissen über exekutives Entscheiden in der US-amerikanischen Machtzentrale, das außerhalb der Serie, in politologischen Traktaten wie politischen Romanen seinesgleichen sucht. Die Serie betreibt einen ungewöhnlichen, ansonsten nur in der Dokumentarfilmtradition eines Frederick Wiseman (State Legislature, 2006) üblichen Aufwand, um den Zuschauer die Verwicklungen und Retardierungen des legislativen ebenso wie des exekutiv-militärischen Alltags im Weißen Haus vor Augen zu führen. Die Hochgeschwindigkeitsdialoge des administrativen Personals („Walk’n Talk“) besetzen zwar den Vordergrund einer Serie, für die das „Wimmelbild“ ästhetisch maßgeblich ist, sie erschöpft aber keineswegs das Wissen der Serie, die ausgerechnet am Pol des exekutiven Regierungshandelns eine konstitutive Ohnmacht und einen Abgrund freilegt, der das Bild der politischen ‚Macher‘ und ihre unerschöpfliche Potenz konterkariert. Im Seminar sollen anhand ausgewählter Episoden die Dialektik souveränen Entscheidungshandelns, wie es die Serie kunstvoll entfaltet, untersucht und die Momente der Störung und Stockung der politischen ‚Autopoiesis‘ (Niklas Luhmann) herausgearbeitet und auf ihre medialen Voraussetzungen hin befragt werden. Kenntnisse des US-amerikanischen Regierungssystems, die zum Verständnis der Serie unabdingbar sind, werden ebenso vermittelt wie Einsichten in die ästhetisch-repräsentative Dimension exekutiv-präsidialer Machtausübung (Benjamin, Foucault, Agamben), die West Wing virtuos zu nutzen versteht. Darüber hinaus soll das Gattungsformat Serie auf seine Fähigkeit hin betrachtet werden, komplexe Konstellationen der US-amerikanischen politischen Kultur sowie der realpolitischen Entwicklungen zwischen dem Ende der Ära Clinton und der Wahl Obamas zu entfalten.
Einführende Literatur: Simon Rothöhler: The West Wing, Zürich (diaphanes) 2012.

051 770 Der Fall Jeanne d’Arc. Akten – Literatur – Film
Vertiefendes Modul
2st., Di 16-18, GABF 04/611

Kommentar
Wie interagieren Systeme des Wissens über Menschen mit den Menschen, über die es ein bestimmtes Wissen gibt? Die Diskurs- und Machtanalyse Michel Foucaults und ihre Fortentwicklung erforscht das „Zurechtmachen von Menschen“, the making up of people (Ian Hacking). Was einen Diskurs von einem beliebigen Text unterscheidet, ist seine Fähigkeit, ein ‚Schicksal‘ zu machen, also darüber zu entscheiden, wer jemand ist und als was er fortan (u.U. mit juristischer Wirkung) zu gelten hat. Zugleich eröffnet er aber ein Feld, auf dem es den klassifizierten Subjekten möglich ist, die diskursiven Spielregeln, denen sie unterstehen, in Frage zu stellen – etwa durch die Weigerung, Rede und Antwort zu stehen. Am Beispiel der Prozesse, die man der politischen Visionärin und späteren französischen ‚Nationalheiligen‘ Jeanne d’Arc gemacht hat, soll im Seminar – im Anschluss an eine kurze Einführung in Foucaults Theorie – gemeinsam ein konkreter historisch und kulturell enorm wirkungsmächtiger „Fall“ behandelt werden, in dessen Mittelpunkt die Entscheidung darüber steht, was ein bestimmtes Verhalten zu einer anerkannten Vision oder einer disqualifizierten Besessenheit macht. Diese Entscheidung wird im Falle Jeanne d’Arcs nach bestimmten Kriterien und Prozeduren vor Gericht getroffen, deren Machtwirkungen ausführlich analysiert werden. Im Zentrum des Seminars stehen nicht nur die überlieferten Akten des Prozesses, der Jeanne d’Arc gemacht wurde, sondern die unterschiedlichen medialen Formate, in denen dieser Fall insbesondere künstlerisch gestaltet und weiterentwickelt wurde. Zu diesen Formaten zählt Schillers Drama „Die Jungfrau von Orléans“ ebenso wie die berühmten Jeanne d’Arc-Filme von Theodor Dreyer, Robert Bresson und Jacques Rivette.
Ein elektronischer Reader mit zentralen Texten und Bildmaterial wird zu Beginn des Semesters im Blackbord hochgeladen.

051 753 Über fotografische Gewissheit
Methodenmodul
2st., Mi 10-12, GA 1/138

Kommentar
Die Fotografie hat seit ihrer Erfindung der philosophischen Frage nach der Gewissheit, also nach dem, was sich auf keinen Fall bezweifeln lässt, neuen, nämlich medientechnischen Auftrieb verliehen. Was heißt es, die Fotografie als ein Medium der Gewissheit zu bezeichnen? Warum kann man die Wahrheit von fotografisch erzeugten Bildern angeblich weniger leicht in Frage stellen als die anderer Bildtypen? Woraus beziehen Fotografien ihre Autorität und ihren Objektivitätsanspruch? Und welche gegenläufigen Überlegungen hat die Theorie der Fotografie angestellt, um die Vorstellung einer Art körperlichen Verbindung des fotografischen Bildes mit seinem Referenten der Kritik zu unterziehen? Wie kann es geschehen, dass das fotografische Bild schließlich zu einem ‚dubitativen‘ Bild mutiert, also zu einem Bild, das in dem Maße, wie es uns die Sache selbst zu geben scheint, einen totalen Zweifel an seiner Authentizität aufwirft? Ist dieser Zweifel am fotografischen Bild erst mit der digitalen Fotografie in die Welt gekommen? Im Seminar sollen diese Fragen nicht nur anhand kanonischer Texte und neuester Arbeiten zur Theorie der Fotografie untersucht werden, sondern in Auseinandersetzung mit einem der grundlegenden philosophischen Texte zur Gewissheit, Ludwig Wittgensteins 1949 kurz vor seinem Tode entstandenen aphoristischen Aufzeichnungen „Über Gewißheit“. Mit dem fotografischen Bild stellen sich in verschärfter Weise all jene Fragen aufs Neue, die das philosophische Problem der Gewissheit seit Descartes aufwirft: Die Gewissheit hat die Form des Satzes, dass man nicht umhin kann zu glauben…, obwohl es für diesen Glauben keinen Grund gibt, der sich als eine Summe von Sätzen entfalten und verifizieren ließe. Obwohl die Gewissheit auf keinem unangreifbaren Wissen beruht, sind wir ihr doch bis zu einem gewissen Grade ausgeliefert, weil sie mit unseren „Sprachspielen“ und Lebensformen verwoben ist, ohne dass uns diese Struktur der Gewissheit bewusst sein müsste. Wie unsere Sprache sind auch unsere Bilder, ganz gleich wie mechanisch sie erzeugt sein mögen, in bestimmte ‚Spiele‘ eingebunden, deren Analyse die Voraussetzung für eine wissenschaftliche, aber auch künstlerische Auseinandersetzung mit der indexikalischen Illusion ist.
Die Bereitschaft zur intensiven Textlektüre sowie zur philosophischen Vertiefung bildtheoretischer Fragestellungen wird vorausgesetzt. Die Texte werden im Blackbord zur Verfügung gestellt.

Christian Heinke