14.11.2017 | PETER REHBERG (ICI Berlin / D)
Echt Porno! Zum Verhältnis von Medialität und Narrativität in der Online-Pornographie
Abstract
Das Genre der Pornographie steckt in einem Dilemma: einerseits soll es als visuelles Spektakel Fantasien zur Verfügung stellen. Erzählformen, Abbildungskonventionen und Schnittverfahren sind darauf angelegt, einen idealen Raum zu produzieren, in dem das Begehren ungehindert ablaufen kann. Auf der anderen Seite soll die Pornographie aber auch realistisch sein. Sie soll Spuren wirklichen Begehrens aufzeichnen. Dieser Echtheitsanspruch der Pornographie hat sich unter den digitalen Medienbedingungen der letzten 20 Jahre noch einmal aktualisiert und zugespitzt: Im Internet sind Formen wie realporn oder gonzoporn populär geworden, mit denen es weniger darum geht, perfekte Körper anzubieten; vielmehr wird hier die Direktheit der Aufzeichnung selbst erotisiert. Der Vortrag beschäftigt sich mit den neuen medialen und ästhetischen Formen, mit denen in der Pornographie „Echtheit“ hergestellt wird. Aus dieser Lage ergeben sich auch neue Optionen für Gender und Sexualität: Anhand von Webseiten und Dating Apps im Umfeld post-pornographischer Kulturen soll die Frage verfolgt werden, inwiefern der mediale Wandel zum Beispiel queeren Positionen zuspielen kann.
Biographical Note
Dr. Peter Rehberg ist Affiliated Fellow am ICI Berlin, wo er in den Bereichen Queer Theory, Gender Studies, Media Studies und Postcolonial Studies forscht. Von 2011 bis 2016 war er DAAD Associate Professor am Germanic Studies Department der University of Texas at Austin und im Frühjahr 2018 ist er Max-Kade-Professor am German Department der University of Illinois at Chicago. Peter Rehberg hat gerade eine Monographie über das schwule Fanzine Butt beendet, die im Frühjahr 2018 bei bbooks erscheint. Titel: Hipster Porn: Queere Männlichkeiten, affektive Sexualitäten und neue Medien. Er hat zahlreiche Artikel zu Themen wie Post-Pornographie, Homophobie, Celebrity Studies und dem Eurovision Song Contest veröffentlicht. Zuletzt von ihm erschienen ist der Aufsatz „Queer Affect Theory: Zum Verhältnis von Affekt und Trieb bei Sedgwick und Freud“ in der Zeitschrift für Medienwissenschaft 17, 2 / 2017. Zusammen mit Prof. Dr. Brigitte Weingart war er Herausgeber der Ausgabe 16, 1 / 2017 der Zeitschrift für Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Celebrity Cultures“.
09.01.2018 | ULRIKE BERGERMANN (HBK Braunschweig / D)
Appropriation – Eine koloniale Kulturgeschichte des Kanga von Zweckentfremdung bis Queering
Abstract
Eigentum hat eine Geschichte, in der es auch als Naturrecht erschien – ein Naturrecht des Individuums. Eigentumsrechte auch auf immaterielle Güter, auf Literatur, Kunst oder Patente zu erheben, ist verflochten mit der romantischen Idee von Autorschaft und Genius, mit dem Buchdruck und der europäischen Medienkultur (Plumpe), ihren Technologien und Subjektivationen, und mit der Kolonialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Verwurzelt in europäischer Aufklärung und Moderne, ist das globalisierte Copyright ein Agent der Creative Industries und ihren enormen finanziellen Ressourcen, der auf das ‘Eigene’ indigener Kulturen, ihrer gemeinschaftlichen Produktion und Tradierung sowie ihr Geist/Materie-Verständnis nicht passt, den globlen Austausch aber dennoch regelt, auch nach Protesten aus dem globalen Süden in den 1960er Jahren (Roy, Riley, Eckstein). Was wäre “folklore”, was indigenes Wissen, und wie soll man die Manifestationen entlang der kolonialen Strukturen ohne ihre “Propertization” (Siegerist, Heineke, Perlman, Coombe) und anderen westlichen Kategorien und ökonomischen Vorteilen verstehen? Dass auch die post_kolonialen Copyright-Prinzipien des globalen Nordens in Konflikt mit denen des globalen Südens und indigener Kulturen stehen, zeigt sich aktuell in Debatten um cultural appropriation.
Auf der Suche nach Praktiken kultureller Produktion im globalen Süden traf ich auf den ostafrikanischen Kleidungsstoff namens Kanga. Seine Geschichte besagt, dass er aus einer Weiterentwicklung portugiesischer Schnupftücher entstand (Fair, Moon Ryan; McCurdy). Gleichzeitig steht er in einer Geschichte gesellschaftlicher Umbrüche sowohl für Frauen als auch für freigelassene Sklaven. Diese Geschichtsschreibung möchte ich vor dem Hintergrund von transnationalen Urheberrechtsfragen (Boateng, Rabine, Sylvanus), Ökonomien des Werts und der Rolle von Baumwolltuch in der Geschichte der Sklaverei (Beckett) und westlich-historiografischem Begehren gegenlesen und mit Fragen der Copyrightfähigkeit “indigener” Produktionen sowie einem Beispiel queerer Aneignung des Kangas diskutieren. Specters of Slavery materialisieren sich zwischen allen Orten (Baucom, Hartman, Sharpe). Fäden laufen zusammen in Formationen des international zirkulierenden Kapitals – oder was zu solchem gemacht wird.
Biographical Note
Ulrike Bergermann ist seit 2009 Professorin für Medienwissenschaft an der HBK Braunschweig, war vorher Vertretungsprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum und wissenschaftliche Mitarbeiterin in Köln und Paderborn nach einer Dissertation zu Sign language notation in Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Gender Studies, Postcolonial Studies, Wissenschaftsgeschichte. Redaktion der Zeitschrift für Medienwissenschaft seit 2007, DFG-Lenkungsgremium Medienwissenschaften 2010-2017. Letzte Publikationen: Leere Fächer. Gründungsdiskurse von Kybernetik und Medienwissenschaft, Hamburg 2016; hg. mit Nanna Heidenreich: total. Universalismus und Partikularismus in post_kolonialer Medientheorie, Bielefeld 2015; co-hg.: Connect and Divide: The Practice Turn in Media Studies. The 3rd DFG conference of Media Studies, Zürich/Chicago 2018, i. Dr. Aufsätze u.a. http://www.ulrikebergermann.de
17.01.2018 | JENS SCHRÖTER (Universität Bonn / D)
Medienwissenschaft und Kapitalismuskritik – eine Diskussion
Abstract
Obwohl es in der Medienforschung eine lange, kritische Tradition gibt und insofern keine ‘Diskussion’ eröffnet werden müsste, zeigt doch z. B. die unlängst erfolgte Gründung des ‘Netzwerks kritische Kommunikationswissenschaft’, dass es offenbar Bedarf gibt. In der – im deutschen Sprachraum von der Kommunikationswissenschaft unterschiedenen – Medienwissenschaft ist seit den 1980er Jahren eine starke Tendenz zur Zurückweisung kritischer (besonders wenn marxianischer) Theoriebestände zugunsten von ‘Materialitäten der Kommunikation’ sichtbar. Dass aber allein diese Begriffsbildung an die verschiedenen Formen materialistischen Denkens Marx’scher Provenienz anschließt, blieb weniger beachtet. Im Vortrag soll der Versuch diskutiert werden, eine kritische theoretische Position zu umreißen, die die Frage nach dem Medium ernst nimmt und das Medium nicht zum Mittel von z. B. Klasseninteressen reduziert. Kann man also die ‘Materialität der Kommunikation’ ins Zentrum rücken und dennoch zentrale Einsichten der marxianischen Diskussion bzgl. der krisenhaften, destruktiven Form kapitalistischer Vergesellschaftung bewahren?
Biographical Note
Prof. Dr. Jens Schröter, Inhaber des Lehrstuhls „Medienkulturwissenschaft“ an der Universität Bonn. Professor für Multimediale Systeme an der Universität Siegen 2008-2015. Leiter der Graduiertenschule “Locating Media” an der Universität Siegen 2008-2012. Seit 2012 Antragssteller und Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs 1769 „Locating Media“, Universität Siegen. 2010-2014 Projektleiter (zusammen mit Prof. Dr. Lorenz Engell, Weimar): „Die Fernsehserie als Projektion und Reflexion des Wandels“. Sprecher des Projekts „Die Gesellschaft nach dem Geld“, VW Stiftung. Forschungsschwerpunkte: Digitale Medien, Photographie, Fernsehserien, Dreidimensionale Bilder, Intermedialität, Kritische Medientheorie. April/Mai 2014: „John von Neumann“-Fellowship an der Universität Szeged; September 2014: Gastprofessur an der Guangdong University of Foreign Studies, Guangzhou, VR China; WS 14/15 Senior-Fellowship am DFG-Forscherkolleg „Medienkulturen der Computersimulation“, Leuphana-Universität Lüneburg. SS 17 Senior-Fellowship am IFK, Wien. WS 17/18 Senior-Fellowship am IKKM, Weimar. www.medienkulturwissenschaft-bonn.de.
23.01.2018 | GERTRUD KOCH (FU Berlin / D)
Die Realität der filmischen Illusion: Zum Problem der dokumentarischen Form
Abstract
Ausgehend von der These, dass Film qua medialer Konstitution Verfahren der Illusionsbildung beinhaltet, stellt sich die Frage, wie sich diese mediale Konstellation in Bezug auf den Realismus/Wirklichkeitsbezug des Dokumentarfilms auswirkt. Die verschiedenen theoretischen Vorschläge (Index, fotografische Referentialität, semiopragmatische Adressierung etc.) sollen auf die doppelte Konstitution des filmischen Mediums hin untersucht werden. Der Materialismus des Vorfilmischen (was sich vor der Kamera ereignet) und das Illusionsmoment des innerfilmischen Geschehens (die Erzeugung einer Welt) stehen dabei in einer interessanten Spannung. Das Deiktische des Bildes weist über den Frame hinaus auf die Welt im Off und die filmische Präsentation holt sie in die Immanenz des Films zurück – an signifikanten filmischen Antworten auf diese Frage sollen deren Aporien erfahrbar werden.
Biographical Note
Prof. Dr. Gertrud Koch ist Professorin für Filmwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Visiting Professor an der Brown University, USA. Zahlreiche Gastprofessuren im In- und Ausland. Forschungsaufenthalte am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, am Getty Research Center in Los Angeles u.v.a. Monographien: Herbert Marcuse zur Einführung (zus.mit Hauke Brunkhorst), Hamburg 1987; “Was ich erbeute, sind Bilder”. Zur filmischen Repräsentation der Geschlechterdifferenz, Frankfurt a.M. 1988; Die Einstellung ist die Einstellung. Zur visuellen Konstruktion des Judentums, Frankfurt a.M. 1992; Siegfried Kracauer zur Einführung, Hamburg 1996; Breaking Bad, Berlin 2015; Die Wiederkehr der Illusion. Der Film und die Kunst der Gegenwart, Berlin 2016; Zwischen Raubtier und Chamäleon. Texte zu Film, Medien, Kunst und Kultur, hg. von Judith Keilbach und Thomas Morsch, München 2016.