30.04.2019 | KATHRIN ROTHEMUND (Bochum/Bayreuth / D)
un|scharf
Abstract
Flimmern, Rauschen, Erscheinen, Verschwinden, Durchdringen: über fünf Denkfiguren der Un|Schärfe werde ich in meinem Vortrag meinen Ansatz zur audiovisuellen Un|schärfe skizzieren. Eine Audiovisualität der Unschärfe, Vagheit oder Verschwommenheit changiert zwischen (vermeintlich) fehlerhafter Aufnahme und künstlerischer Bildgestaltung, zwischen Authentizität und Störung, zwischen Widerständigkeit und Reflexivität und stellt Aufnahme-, Distributions-, Projektions- und Sehapparaturen vor besondere Herausforderungen. Potentiale von Klarheit und Schärfe immer mitführend eröffnen un|scharfe Bewegtbilder eine eigene Virtualität und eine spezifische Temporalität, die nicht nur auf den medialen Charakter der Bilder verweisen, sondern zugleich Apparaturen, Techniken und Betrachter*innen in einer Baradschen Intraaktion miteinander verschränken und zu einer Spekulation in und mit Bildern auffordern.
Biographical Note
Dr. Kathrin Rothemund ist Medienwissenschaftlerin mit einem Schwerpunkt auf Bewegtbilder. Sie habilitiert an der Universität Bayreuth mit einer Arbeit zur audiovisuellen Un|Schärfe und sie vertritt im Sommersemester 2019 die Professur „Transformationen audiovisueller Medien unter besonderer Berücksichtigung von Gender und Queer Theory“ an der RUB. Sie forscht zum Verhältnis von Apparaturen, Techniken und Ästhetiken audiovisueller Medien und interessiert sich dabei vor allem für Fragen von Un|Schärfe, für eine Theorie des kosmopolitischen Kinos und für Transformationen komplexen seriellen Erzählens.
14.05.2019 | LORENZ ENGELL (Weimar / D)
Menschen/Fern/Sehen. Anthropologien der Television
Abstract
Folgt man dem “Anthropischen Prinzip”, einer kosmologischen Theorie über die (Un-) Wahrscheinlichkeit der menschlichen Existenz im Weltraum, müssen alle Beschreibungen des Universums zwangsläufig eine Szene oder einen Lebensraum vorsehen, in dem ein bestimmtes und besonders intelligentes Wesen auftreten und existieren kann, das als Autor dieser Beschreibungen gilt. Im Allgemeinen wird “der Mensch” in diese Position gebracht. – Ausgehend von den epochalen Fernsehbildern des Planeten Erde aus dem Weltraum zeigt sich jedoch, dass der kosmologische Lebensraum (die Erde) auch die Medien der Darstellung und Beschreibung und Messung des Universums enthalten muss, ganz besonders das Fernsehen. Die angenommene anthropische Szene als Bedingung für die Möglichkeit des Kosmos ist daher notwendigerweise ein nicht zentrierter medienanthropischer, z.B. televisueller Lebensraum, in dem sich Medien und Mensch schon immer miteinander verflochten haben. Der im Fernsehen fixierte und verstreute Globus ist der azentrische, satellitär gewordene Augapfel, durch den der Kosmos seither auf sich selbst schaut.
Biographical Note
Lorenz Engell ist seit 2008 Direktor (zus. mit B. Siegert) des Internationalen Kollegs für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie Weimar. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Operative Ontologien, Medien-Anthropologie sowie Film und Fernsehen als philosophische Apparaturen und Agenturen, als mediale Historiographien, als Zeichensysteme. Aktuell erarbeitet er ein Forschungsprojekt mit dem Titel Mediale Kosmogonien. Das anthropische Prinzip, die Bilder aus dem All und das Mediozän.
21.05.2019 | KATJA DIEFENBACH (Merz Akademie Stuttgart / D)
Die biopsychische Individuation der Welt, oder:
Gibt es ein vitalistisches Modell materialistischer Politik?
Abstract
In Differenz und Wiederholung entwickelt Deleuze eine Theorie biopsychischer Individuation, in der Materie und Geist keinen binären Gegensatz bilden. Gegen jedes mechanische Verständnis von Materie als einer Entität, die durch Teilung und Zählung bestimmbar ist, geht Deleuze von der Koimplikation von Materie und Zeit aus. Leben ist das, was in der Materie selbst die Kräfte der Materie dynamisiert und mit der Komplexität akkumulierter Zeitschichten kommunizieren lässt. Ausgangspunkt und Schlüssel dieser Vorstellung ist der Begriff intensiver Differenz, mit dem Deleuze der Neutralisierung der Intensität in der westlichen Philosophie entgegentritt: Unausgedehnte Differentialverhältnisse aktualisieren sich in der Ausdehnung, ohne in ihr ausgeglichen oder annulliert zu werden. Intensität präsentiert das, was es an Unauffhebbarem im Quantitativen gibt und damit die der Quantität eigene Qualität. In meinem Vortrag möchte ich die unkanonischen Bezugnahmen auf Hume, Bergson, Kant und Freud diskutieren, die Deleuzes Lehre der Materie-Zeit-Synthesen unterliegen. Gleichzeitig geht es um die Frage, welche Art der Politik damit ins Spiel kommt. Gegen die These, dass Deleuze eine Ethik des Kreativen und Schöpferischen vertrete, die keine Widerstandskraft gegen den Innovationszwang kapitalistischer Gesellschaften entfalte, diskutiere ich die Elemente materialistischer Politik, die sich in Deleuzes Theorie der Potentialisierung der Zeit finden, einer Zeit, in der sich kein Subjekt und kein Kollektiv wiedererkennen können. Was macht diese Politik des Nichtidentischen und Asubjektiven aus, die in vollkommen positiven und vitalistischen Begriffen formuliert ist? Und handelt es sich in der Tat um Politik?
Biographical Note
Katja Diefenbach ist Professorin für Ästhetische Theorie an der Merz Akademie, Stuttgart. Sie arbeitet über französische Philosophie und Epistemologie der Gegenwart und veröffentlichte jüngst Spekulativer Materialismus. Spinoza in der postmarxistischen Philosophie (Turia + Kant 2018).
04.06.2019 | OLIVER LEISTERT (Leuphana Universität Lüneburg / D) // ENTFALLEN!
Vertrauen & Kontrolle. Über souveräne Medientechnologien
Abstract
Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Die Umkehr dieser Redewendung, die Lenin zugeschrieben wird, zeigt den historischen Stand neuester Vergesellschaftungs- bzw. Regierungstechnologien an. Denn mit Blockchains beobachten wir die nächste Drehung des Problems vom Zwang zur Kooperation durch Konkurrenz. Indem u.a. spieltheoretische Annahmen in die Governance von Blockchain-Projekten implementiert sind, können diese verteilten Systeme frei von externer Kontrolle bzw. ohne Manipulation von außen laufen. Vertrauen ins Gegenüber oder in eine regulative Zentrale ist fortan nicht mehr Bedingung gesellschaftlichen Verkehrs. Maschinen kontrollieren nun Maschinen beim Berechnen von Soll und Haben. Diese in den Blockchains aufscheinende Maschinen-Souveränität ist nach den Plattformen zur Transaktionsvermittlung (Uber, AirBnB, …) der nächste Schritt der Übergabe der Handlungsfähigkeit an Algorithmen.
Biographical Note
Dr. Oliver Leistert promovierte mit einer Arbeit zu neoliberalen Modalitäten mobiler Medien in Bezug auf Überwachung und Aktivismus. Seine Forschungsinteressen sind sog. Soziale Medien, Protestmedien, Algorithmen und Gesellschaft, Medien- und Technikphilosophien im Anschluss an Gilbert Simondon und souveräne Medien wie Blockchains oder Bots. Derzeit beschäftigt er sich an der Leuphana Universität Lüneburg mit der Genese des Kontrollbegriffs und einigen ihn begleitenden Fantasien. Veröffentlichungen u.a.: On the Question of Blockchain Activism. In: Graham Meikle (ed.): The Routledge Companion to Media and Activism. London/New York: Routledge 2018; mit Lina Dencik (eds.): Critical Perspectives on Social Media and Protest. Between Control and Emancipation. London: Rowman & Littlefield 2015.
02.07.2019 | MARTIN DEGELING (Ruhr-Universität Bochum / D)
Dividuelle Praktiken und Segmentierung beim Online Profiling
Abstract
Beim Surfen im Internet stellen Online Tracking-Dienste automatisiert Vermutungen darüber an, wo jemand wohnt, welchem (zumeist binären) Geschlecht diese Person zuordnet werden kann und vor allem wofür sich der*die Nutzer*in interessiert. Zwischen denen, die Werbeflächen zur Verfügung stellen und solchen, die Marketingkampagnen schalten wollen, agieren verschiedene Akteur*innen in einem komplexen Netzwerk, bei dem automatisiert erstellte Nutzer*innenprofile und Vorhersagen auf Basis des beobachteten Surfverhaltens eine zentrale Rolle spielen.
In meinen Vortrag möchte ich die Ergebnisse mehrerer Studien zum Online Profiling diskutieren, und mit den Debatten um Datenschutz in Beziehung setzen. Der Konflikt liegt in dem unterschiedlichen Verständnis von Privatheit, personenbezogenen Daten und den dividuellen Praktiken, die zum Einsatz kommen.
Anders als etwa bei Persönlichkeitsprofilen die über Plattformen wie Facebook erstellt werden, setzen die Online Tracking-Dienste auf ständige Anpassung und Aktualität. Dabei sind die möglichen Ergebnisse der Algorithmen stark an den Interessen der Werbeindustrie ausgerichtet, wie die genutzten „Taxonomien“ – Hierarchien der möglichen Attribute eines*r Nutzer*in – dokumentieren, die ebenfalls kontinuierlichen Anpassungen unterliegen. Dieses Vorgehen ist nicht nur von Nutzen für die online Werbetreibenden, die Werbung heute vor allem in Kampagnen organisieren und sich an den aktuellen Interessen oder tagesaktuellen Events orientieren, sondern kann auch im Sinne der Nutzer*innen instrumentalisiert werden, deren Profile eben nicht ein Abbild ihrer gesamten Persönlichkeit sein sollen, sondern sich auch leicht beeinflussen lassen.
Biographical Note
Martin Degeling ist seit 2018 Post-Doktorand und wissenschaftlicher Koordinator eines Graduiertenkollegs zum Thema “Human Centered Systems Security” am Horst-Görtz Institut für IT-Sicherheit der Ruhr-Universität Bochum. Nach seiner Promotion mit dem Titel “Online Profiling: Analyse und Intervention zum Schutz von Privatheit” (2016) an der Universität Duisburg-Essen war er zwei Jahre Post-Doktorand an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh. Aktuell beschäftigt er sich mit den Auswirkungen der Datenschutzgrundverordnung auf Internetseiten.