Tilman Richter (M.A.)

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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Vita

  • Seit 2023 | Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienwissenschaft bei Prof. Friedrich Balke
  • 2019 bis 2023 | Doktorand am DFG-Graduiertenkolleg “Das Dokumentarische. Exzess und Entzug” der Ruhr-Universität Bochum (Promotionsprojekt: “Unterschreiben. Zur Signatur von Individualität in der Moderne”)
  • bis 2019 | Studium der Kulturwissenschaft und Philosophie an der Universität Witten/Herdecke (B.A.) und der Humboldt-Universität zu Berlin (M.A.)

Arbeitsschwerpunkte

  • Schreiben als Kulturtechnik
  • Medien und Praxis der Verwaltung

Lehrveranstaltungen (SoSe 2023:

  • Liste, Tabelle, Buchführung. Schriftmedien in der Verwaltung von Menschen und Dingen
  • Von der Bohème zur Gig Economy. Sozialfiguren des Plattform-Kapitalismus

Aktuelles Projekt:

Unterschreiben. Zur Signatur von Individualität in der Moderne. (Arbeitstitel)

Nicht nur im juristischen Kontext gilt: die Unterschrift macht aus Aufzeichnungen Dokumente. Sie schließt ein Dokument ab und erklärt dessen Form für gültig. Sie vollzieht Autorisierung. Für diesen Akt müssen Unterschreibende einstehen können. Mittels ihrer höchstpersönlichen, verkörperlichten Unverwechselbarkeit binden sie sich an das Unterschriebene, das dadurch nicht nur ihre materielle Anwesenheit, sondern gerade auch ihren Willen und ihre Fähigkeit zur Autorisierung dokumentiert. Die Unterschrift steht damit als Spur, das Unterschreiben als Praxis an der Schnittstelle von Medien und Individualität. Das unterzeichnende Subjekt geht der Unterzeichnung nicht voraus, der Akt des Unterschreibens transformiert Objekt wie Subjekt gleichermaßen. In diesem Sinne ist jede Unterschrift ein Akt des sich (etwas) Einschreibens.

Das Promotionsvorhaben formuliert die These, dass die Praxis des Unterschreibens am Kreuzungspunkt von juristischen und bürokratischen Ordnungen, Diskursen und Praktiken der Erziehung und Medien der Schrift exemplarisch aufzeigt, wie Kulturtechniken mitwirken an der Inklusion jeder Einzelnen in die soziale Ordnung der Moderne. Wer unterschreiben kann und darf, verfügt über die souveräne Macht, den eigenen Willen zu dokumentieren und gültig zu machen, unterwirft sich aber gleichzeitig dem Zwang, sich zu identifizieren, seine Identität an Dokumente zu binden, sich auffindbar zu machen und die eigene Person zu einer über die Zeit beständigen Einheit zu formen.

Verdankt sich der Bedeutungsgewinn des Unterschreibens der Verbreitung von Schrift und Schriftlichkeit in der Neuzeit, so stellt der nachfolgende Medienwandel, insbesondere der Zuwachs an Möglichkeiten der technischen Reproduktion von Daten diese Bedeutung zunehmend in Frage. Vor diesem Hintergrund führt gegenwärtig vor allem die Digitalisierung von Daten und deren Austausch zu einem deutlichen Bedarf nach Funktionsäquivalenten der Unterschrift. Deren Leistung, körperliche Unverwechselbarkeit mit materiell verhältnismäßig beständigen Medien kurzzuschließen, erscheint bisher nicht verlustfrei reproduzierbar. Angesichts dessen verteilen sich die Funktionen der Unterschrift auf eine Vielzahl von Technologien wie RFID-Chips, PIN-Codes und die Erfassung biometrischer Daten. Dieser Prozess einer medialen funktionalen Differenzierung stellt nachdrücklich die Frage, welche Formen diese Technologien den in ihr dokumentierten Unverwechselbarkeiten einprägen und ob diese überhaupt noch sinnvoll als Subjektivitäten oder Individuen zu beschreiben sind.

Im Besonderen versucht das Forschungsvorhaben anhand exemplarischer Fallgeschichten aus der zweiten Hälfte des 20. und beginnenden 21. Jahrhundert das Unterschreiben als eine politische Praxis in den Blick zu nehmen. Damit ist einerseits das Unterschreiben in seiner explizit politischen Form (als Petition, Liste oder auch in Form der Verweigerung) angesprochen, andererseits die Notwendigkeit für Subjekte, angesichts der ubiquitären Forderung, zu unterschreiben, eigene (implizite oder explizite) Politiken der Unterschrift und ihrer Verbreitung zu entwickeln. Das Unterschreiben bildet so eine Zone der Aushandlung von Agency zwischen Institutionen, Dokumenten und Subjekten.


Veröffentlichungen

Beiträge und Artikel:

  • „The Forging of One’s Self: Inauthentic Signatures and the Privacy of Handwriting”, in: KNOW: A Journal on the Formation of Knowledge, Volume 7, Number 1 (Spring 2023). https://www.journals.uchicago.edu/doi/10.1086/724826
  • „Das ‚diplomatische Jahrhundert‘: Mediatisierung von Zeitverhältnissen in den Staatswissenschaften des 18. Jahrhundert“, Kulturwissenschaftliche Zeitschrift, Jg. 7 (2022), H. 1, Sonderheft Moderne Zeitlichkeiten und das Anthropozän, S. 12-25. https://sciendo.com/article/10.2478/kwg-2022-0002
  • „Die Unterschrift verweigern? Überlegungen zur Agentialität der Signatur“, in: Martin Bartelmus und Alexander Nebrig (Hg.), Schriftlichkeit. Aktivität, Agentialität und Aktanten der Schrift, Bielefeld 2022, S. 221-235. https://www.transcript-verlag.de/chunk_detail_seite.php?doi=10.14361%2F9783839460924-012

Blogbeiträge:

  • „Gespenstische Apparate. Die Listen der Geheimbürokratie“, KWI-Blog, 27. April 2022. https://blog.kulturwissenschaften.de/gespenstische-apparate/
  • „Wale und Wolken, Gott und Google“, Merkur-Blog, 15. Juni 2016. https://www.merkur-zeitschrift.de/2016/06/15/wale-und-wolken-gott-und-google/

Herausgaben:

  • Marion Biet / Jana Hecktor / Vanessa Klomfass / Julia Schade / Tilman Richter (Hrsg.): Dokumentwerden. Zeitlichkeit. Arbeit. Materialisierung, Bielefeld [in Vorbereitung].
  • Anna Echterhölter / Caspar-Fridolin Lorenz / Tilman Richter (Hrsg.): Apparate. Über Regierungsverfahren und Algorithmisierung (= AdminiStudies. Formen und Medien der Verwaltung), Berlin 2023 [im Erscheinen].