Hinter den Kulissen – So funktioniert ein Filmfestival

Interview mit Bastian Blachut geführt von Lisa Grunau und Celine Gerner, November 2018


Bastian Blachut arbeitete am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, sowie im Umfeld verschiedener Filmfestivals, wie z.B. der Duisburger Filmwoche, den Internationalen Oberhausener Kurzfilmtagen und publiziert zu Fragen des Politischen im Dokumentarfilm.


Wo und was haben Sie studiert?

Blachut: Ich war kurz in Köln, bin aber dann nach Bochum gewechselt und habe dort Geschichte, Film- und Fernsehwissenschaften studiert, so hießen die Medienwissenschaften früher.

Verbinden Sie ihre Arbeit an der RUB mit der Arbeit beim Festival?

Blachut: Ich habe einige Jahre nach meinem Studium parallel zur Festivalarbeit an der RUB bei Eva Hohenberger gearbeitet. Das liegt thematisch sehr eng beieinander. Früher gab es allerdings eine sehr viel engere Verbindung zwischen den Studierenden der RUB und der Duisburger Filmwoche. Die Seminare waren quasi doppelt so lang wie heute. Neben den üblichen anderthalb Stunden Seminarzeit gab es noch zwei Stunden Sichtungszeit, in den Filmen geschaut wurden. Es gab viele Dokumentarfilmseminare und diese Teilnehmer/innen sind damals schon regelmäßig zur Filmwoche gefahren. Sie lag vor der Tür und war dadurch ein Geschenk.

Wie sind Sie zu der Arbeit beim Festival gekommen?

Blachut: Wenn man regelmäßiger Festivalbesucher ist, in Duisburg, Bochum, Oberhausen und Umgebung, dann schließt man auf diese Weise schnell neue Kontakte. Durch diese Kontakte erfährt man dann, ob Leute in der Mitarbeit gesucht werden. Dann muss nur noch das Team passen. Ausschlaggebend war in meinem Fall ein Kontakt, den Hilde Hoffmann zur Duisburger Filmwoche hergestellt hatte.

Was für organisatorische Abläufe gibt es?

Blachut: Ich kann von Duisburg, Oberhausen und hier von den Bochumer „Blicken“ erzählen. Die Abläufe verändern sich im Laufe der Vorbereitungszeit. Die einzelnen Bereiche kann man nicht gut voneinander trennen, weil sich diese während der Vorbereitung immer weiter verzahnen. Es gibt immer die Bereiche „Presse und Öffentlichkeitsarbeit“, „Kopienorganisation“, „Technik“, eine „Auswahlkommission“ und die „Festivalleitung“, die das Gesicht nach außen ist, welches das Festival präsentiert. Je nachdem wie das Festival aufgebaut ist liegen auch die Schwerpunkte der Aufgaben immer auf verschiedenen Bereichen. Nehmen wir als Beispiel die Duisburger Filmwoche: Jeder Film läuft im Festivalprogramm nur einmal und wird auch einmal ausführlich diskutiert und besprochen. Hier gibt es dementsprechend also die Moderation als einen immens wichtigen Festivalbereich, so etwas gibt es nicht überall.
In Duisburg ist es so, dass die Vorbereitungen für das Festival ungefähr im Februar beginnen, und die Filmwoche selber im November stattfindet. Das bedeutet etwa neun oder zehn Monate Vorbereitungszeit. Klassische Aufgaben sind zu Beginn des Jahres die Nachbereitung des vorherigen Festivals, die Finanzierung des nächsten Festivals, der Konzeptentwurf für das aktuelle Festival. Auch die Auswahlkommission trifft sich bereits ab Februar zu Planungsgesprächen und um im laufenden Jahr bei anderen Gelegenheiten Filme zu recherchieren, die für das Programm interessant sein könnten. Danach beginnt die eigentliche Arbeit, wie z.B. Sponsoren zu suchen, Termine zu klären, Räume und Kinos zu buchen usw. Parallel dazu läuft eine dauerhafte Öffentlichkeitsarbeit. Im Frühjahr wird dann das Motto besprochen, Themen für Extraveranstaltungen vereinbart, externe Dienstleister wie Grafiker u.a. kontaktiert, Sonderprogramme geplant und vieles mehr. Wichtig hierbei ist noch zu erwähnen, dass die Festivalleitung eine große Rolle für den Erfolg eines Festivals spielt. Nur durch die Kontakte, die die Festivalleitung pflegt, lebt ein Festival in den Größen wie Duisburg und Bochum und kann das Niveau bieten, das sie auszeichnet.

Was davon waren Ihre Aufgaben und wie würden Sie diese Aufgaben jemandem erklären, der noch nie von einem Festival gehört hat?

Blachut: Das Team in Duisburg war verhältnismäßig klein, mit nur fünf Personen. Die Bereiche waren klar abgesteckt. Meine Aufgaben waren zu Beginn des Vorbereitungsjahres die Kopienorganisation und die Sichtungsvorbereitungen. Es werden ca. 800-900 Filme eingereicht, diese müssen von der Auswahlkommission im Laufe des Sommers im Rahmen von zwei Sichtungseinheiten gesichtet werden. Jede Sichtungseinheit dauert ca. 10 Tage. Die Vorbereitungen hierfür finden im Frühjahr statt, dafür braucht man z.B. die entsprechenden Räumlichkeiten und Sichtungstechniken. Früher lief dies noch über VHS, später über Digitalformate und DVDs, dann Blu-ray. Dieses Jahr war das erste Jahr, in dem es über Streaming lief. Außerdem muss die Kommission geplant und Hotels gebucht werden. Hierbei möchte ich nochmal auf die Kommission eingehen. Es ist wichtig, die richtigen Leute für die Kommissionsarbeit auszuwählen, denn diese Leute müssen hinterher entscheiden, welcher Film gezeigt wird und welcher nicht. Dies kann nicht einfach nach Lust und Laune geschehen, sondern muss auf fundierten Begründungen basieren. Je meinungsfreudiger und vor allem je meinungsstärker die Kommission aufgestellt ist, desto besser ist das Programm und damit auch die anschließenden Diskussionen – selbst wenn die Filme kontrovers besprochen werden oder die Kommission bei der Auswahl nicht einer Meinung war. Der daraus resultierende Schatz an gesammelten Filmen (in Duisburg seit über 40 Jahren), mit Notizen, Anmerkungen usw., ist das wirkliche Besondere an dieser Arbeit. Intensive Auseinandersetzungen wie die während der Kommissionssichtungen findet man sonst in der konzentrierten Form und kurzen Zeit kaum irgendwo anders. Mit geänderten Formaten hat sich auch die Anzahl der Filme verändert, denn der Umfang ist stark gestiegen – mittlerweile auf um die 800 Einreichungen pro Jahr. Nach der Sichtung muss schließlich geklärt und geplant werden, in welchem Format die Filme abgespielt werden. Wurde die Auswahl getroffen, welche Filme programmiert werden, nimmt man Kontakt mit den Verleihfirmen auf. Es muss unter anderem geklärt werden, ob und welche Verleihgebühren anfallen, man muss auf Rechte und auch auf die Formate achten.
Parallel dazu habe ich in Duisburg Teile der Personalplanung gemacht, Ablaufpläne erstellt und besondere Begleitveranstaltungen geplant und in Teilen konzipiert. Das Team wird ergänzt durch feste freie Mitarbeiter/innen und Praktikant/innen, die regelmäßig bei diesen Veranstaltungen helfen. Praktikant/innen, die in Duisburg übrigens prinzipiell immer entlohnt werden. Außerdem habe ich Sonderausstellungen oder Sonderformate betreut. Das können zum Beispiel Fotoausstellungen, Diskussionen oder Extra-Veranstaltungen sein. Beim Festival selbst war ich für den technischen Ablauf, für die Raumplanung und Zeitpläne verantwortlich. Ein gutes Team zeichnet sich vor allem in Stresssituation darüber aus, wie gut es sich vorbereitet hat und ob es bei Herausforderungen und Pannen, die üblich sind, die Ruhe bewahrt. Ein Filmfestival ist eine große Live-Veranstaltung mit allen Aspekten, die dazu gehören.

Sehen Sie die Festivalarbeit und Organisation eher als Team oder Einzelarbeit an?

Blachut: Absolut als Teamarbeit. Dies kann man auch wörtlich nehmen. Man sitzt gemeinsam im Büro und jeder muss für jede Kollegin einspringen können. Es besteht eine dauerhafte Kommunikation, zum Beispiel mindestens eine wöchentliche Teamsitzung, damit jeder immer über alle Abläufe in den anderen Arbeitsbereichen im Bilde ist und nach außen auch auf Rückfragen reagieren kann. Teamfähig sein bedeutet auch, dass man mit Charakteren klar kommen muss, die es vielleicht nicht immer sind. Man muss absolut zuverlässig sein. Man muss kommunikativ sein und das dauerhaft, sodass man immer erreichbar ist. Zuletzt muss man auch sehr belastbar sein, um in der Kürze der Zeit alle Aufgaben gut zu bewältigen. Gerade bei den kleineren Festivals wie in Duisburg oder Bochum ist das ausgesprochen wichtig, weil die Arbeit auf den Schultern eines kleinen Teams ruht.

Welche Aspekte der Arbeit finden sie am interessantesten?

Blachut: Hoch interessant ist die Zeit, in der die Filme gesichtet und ausgewählt werden. Es ist eine Herausforderung, 10 Tage lang bis zu 12 Stunden pro Tag Filme zu gucken, die Kommission in ihrer Auswahlarbeit zu unterstützen und im Anschluss daran während der Programmierung einen Überblick über die gesamte geplante Woche zu behalten. Die Sichtungsarbeit ist ein eigener Filmschatz für sich. Auf diese Weise erkennt man nicht nur inhaltliche Themenschwerpunkte, die im Laufe der Jahre wechseln, sondern auch formale Trends und technische Entwicklungen, aus denen häufig ästhetische Entwicklungen resultieren. Wenn einem diese Arbeit gefällt, dann ist die Festivalwoche an sich, egal ob sie reibungslos oder turbulent verläuft, der Höhepunkt nach einer wirklich langen und intensiven Vorbereitungszeit.

Was versteht man im Kontext des Festivals unter einem Spin-off?

Blachut: Es handelt sich hierbei in der Regel um Sonderveranstaltungen, die an das Festival gekoppelt sind. Dieses Jahr hat beispielsweise die 3Sat Kooperation mit der Duisburger Filmwoche ihr Jubiläum gefeiert. Hier hat man sich überlegt, eine Podiumsdiskussion zu veranstalten, um dies hervorzuheben. In Duisburg waren im Laufe der Jahre aber unterschiedlichste Sonderveranstaltungen an das Festival angeschlossen. Vor einigen Jahren gab es beispielsweise eine große Fotoausstellung der Kamerafrau und Filmemacherin Elfi Mikesch, eine Videoinstallation der Berliner Filmemacherin Juliane Henrich und traditionell in jedem Jahr unter dem Programmtitel en plus die Projektion einer historischen Dokumentation im Anschluss der Preisverleihung, inklusive Einführung durch Kenner/innen des Films aus der Filmwissenschaft oder aus der Dokumentarfilmlandschaft.

Weitere Spin-offs richten sich gezielt an sogenannte Multiplikator/innen. Was genau ist unter einer solchen Veranstaltung zu verstehen?

Blachut: In Deutschland gibt es gesetzlich geregelten Bildungsurlaub. Trägt eine Veranstaltung dieses Siegel, kann man daran teilnehmen und seinen Bildungsurlaub dafür einreichen. Das ist in Duisburg der Fall. Während des Festivals betreue ich in Kooperation mit der VHS Duisburg eine Seminargruppe, welche aus ca. 30 Leuten besteht. Diese schauen während des Programms alle Filme und besprechen sie innerhalb ihrer Gruppe. Einmal am Tag treffen wir uns, um die geschauten Filme in einer zweistündigen Sitzung zu diskutieren. Es werden formale Fragen geklärt und inhaltliche Aspekte vertieft. Wir schulen das filmische Sehen und das Sprechen über dokumentarischen Film.

Erzählen Sie uns von einem Ihre größten Erlebnisse in der Festivalarbeit.

Blachut: Es ist immer sehr spannend, wenn Dinge nicht wie geplant ablaufen. Dies gilt vor allem dann, wenn die verschiedenen Charaktere der Autorinnen und Autoren oder der Produzentinnen und Produzenten besonderes Fingerspitzengefühl erfordern. Natürlich steht an oberster Stelle, in so einem Moment schnell eine adäquate Lösung zu finden und sie auch rechtfertigen zu können. Das erfordert manchmal sehr schnelle Entscheidungen im laufenden Programm.
Andere Pannen geschehen in der Vorbereitung. In einem Jahr hatten wir beispielsweise keine freien Hotels in Duisburg. Erstens waren wir zu spät dran mit der Buchung und zweitens war in Düsseldorf eine große Messe – wir mussten die meisten Gäste in einer Jugendherberge unterbringen und mit dem Taxi hin und her fahren.
Eine andere Geschichte ist eine Diskussion, die sehr kontrovers abgelaufen ist. Einige Filme wurden im Laufe der Jahre besonders hitzig diskutiert. Diese Diskussion wurde sehr politisch und hat noch lange nachgewirkt, auch außerhalb der Diskussionsrunde.
Im Nachhinein ist aber vor allem spannend und schön, die Entwicklung mancher Filmemacher mitzuerleben und hin und wieder Bekanntschaften zu schließen, die über Jahre Bestand haben.

Welche Festivals haben Sie bereits besucht, welche würden Sie uns als Studierende weiterempfehlen?

Blachut: Ich würde verschiedene Festivals empfehlen: das Frauenfilmfestival in Köln|Dortmund, die Duisburger Filmwoche, die Oberhausener Kurzfilmtage, blicke in Bochum, das Kasseler Dok und, als besonderer Tipp, die Hamburger Filmwoche im Februar. Ich würde empfehlen, auch einmal nach Berlin zur Berlinale und auch nach Leipzig zur DOK Leipzig zu fahren, um auch einmal Festivals in dieser Größenordnung mitzuerleben.

Haben Sie einen Lieblingsfilm?

Blachut: Persönliche Lieblingsfilme zu nennen ist schwer. Ich würde mit Blick auf die Duisburger Filmwoche einen Film empfehlen, der vor ca. 11 Jahren gezeigt wurde und sich immer wieder bewährt hat: »Das Block« von Chris Wright und Stefan Kolbe. Wenn ich noch einen Film nennen darf, der mit der Festivalarbeit aber nichts zu tun hat, dann einen Dokumentarfilm, den ich in einem Bochumer Seminar das erste Mal kennengelernt habe: »Der lachende Mann«, eine DEFA-Produktion von Walter Heynowski und Gerhard Scheumann. Außerdem hat mich als Student ein Film gefesselt, den ich immer wieder mit Begeisterung sehe: »Rot ist die blaue Luft« von Chris Marker. Jeder Film ist für sich wahnsinnig nachhaltig und eindrucksvoll. Und wer sich für Dokumentarfilm interessiert und ihn nicht kennt, der muss »Nacht und Nebel« von Alain Resnais sehen und am besten alle Filme von Claude Lanzmann. Außerdem unbedingt »Torre Bela« von Thomas Harlan und die Filme von Philip Scheffner. Und viele andere, die mir jetzt nicht einfallen. Und am besten alle in guter Gesellschaft, damit die Filme im Gespräch nach dem Schauen nachklingen können.