Eine Karriere bei Filmfestivals – Vom Uni Projekt zur Festivalkoordinatorin
Interview mit Jessica Manstetten geführt von Julia Kamp und Katharina Sakowski, Dezember 2018
Jessica Manstetten arbeitet für die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, für die Duisburger Filmwoche und für das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund|Köln. Sie ist für die Organisation und Koordination der Musikvideo-Programme in Oberhausen verantwortlich und ist Mitglied der Auswahlkommission. In Duisburg hat sie zuletzt in der Festivalorganisation mitgewirkt, beim Frauenfilmfestival ist sie in der Programmkommission tätig. Zudem hat sie mit Katrin Posse das Projekt „KinoEulen“ gegründet, dass Kindern Kurzfilme nahebringen soll.
Könnten sie ihren Berufsweg nach dem Uni-Abschluss beschreiben?
Manstetten: Zuerst habe ich Literaturübersetzen in Düsseldorf studiert. Währenddessen ging ich ein Jahr nach Paris, wo mich die Pariser Filmkultur in ihren Bann zog. Man konnte schon früh morgens ins Kino gehen und sich Retrospektiven anschauen, umfassende Filmreihen zu Werken von Regisseur/innen oder Schauspieler/innen. Solche Reihen sind auch heutzutage noch Bestandteil eines Festivalprogramms. Hier hatte ich erstmals das Gefühl, dass Literaturübersetzen nicht ausreicht. Ich wollte nicht nur zuhause sitzen oder in einem Büro, ich hatte meine Leidenschaft für Filme entdeckt.
Der erste Kontakt zu einem Filmfestival kam, während meines ersten Studiums, mit einem Job bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen. Ich wurde zum Übersetzen und Einsprechen von Textlisten eingesetzt. Man bekam von den gezeigten Filmen die Textlisten, die man dann übersetzt. Während der Vorführungen hat man diese Texte dem Publikum von einer Kabine aus in die Kopfhörer eingesprochen. Von dort aus ging der Weg dann langsam zum Film. Ich begann ein neues Studium an der Ruhr-Universität Bochum: Film-/Fernseh- und Theaterwissenschaft, Sozialpsychologie und Französisch.
Zu der Zeit gab es an der Uni ein Projekt, das von den Studierenden selbst organisiert wurde: ein Videofestival im Musischen Zentrum. Gudrun Sommer (jetzt Leiterin der Duisburger Initiative doxs! – dokumentarfilme für kinder und jugendliche), die damals an dem Projekt beteiligt war, fragte mich, ob ich Lust hätte dort mitzuwirken. Ich war natürlich interessiert. Da es zu der Zeit noch nicht so viele Pflichtkurse gab, hatte man auch Zeit für ein solches Projekt.
1998 übernahm ich mit Serjoscha Wiemer (jetzt Akademischer Oberrat a. Z. an der Uni Paderborn) die Leitung des Videofestivals. Aus diesem Projekt habe ich für mein heutiges Berufsleben sehr viel mitgenommen. Dadurch, dass es von den Studierenden organisiert wurde, hatte man sehr viele Freiheiten und war bei jedem Schritt dabei. Ich lernte, wie man ein Festival aufbaut: ein Festival planen, Anträge stellen, Programme planen, Filme in einer Gruppe anschauen und auswerten, Themenschwerpunkte wählen, seiner Kreativität freien Lauf lassen. Das Projekt wurde inzwischen leider eingestellt, wohl auch aus dem Grund, dass Studierende aufgrund neuer Studienordnungen nicht mehr genug Zeit für solche Projekte haben.
Wie ging es dann von einem kleinen Uni-Projekt zu den Oberhausener Kurzfilmtagen und zur Duisburger Filmwoche?
Manstetten: Während des Studiums habe ich für die Kurzfilmtage in Oberhausen gearbeitet. Lars Henrik Gass wurde damals neuer Leiter des Festivals, führte 1999 den Musikvideopreis ein und gliederte somit die Musikvideos ins Festival ein. Damals galt das noch als Skandal. Viele dachten, dass jetzt die Kommerzialisierung des Festivals einsetzten würde. Gass fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, diese Sektion zu organisieren. Natürlich habe ich zugestimmt und mich komplett in das Thema eingearbeitet.
Kurz danach kam Gudrun Sommer wieder auf mich zu, die noch ein neues Team für die Duisburger Filmwoche suchte. Mein Glück war, dass Duisburg im November und Oberhausen im Mai ist, so konnte ich bei beiden Festivals arbeiten. Es wurde sich ganz ungezwungen erstmal mit Werner Ružička (ehemaliger Festivalleiter der Duisburger Filmwoche) auf ein Kaffee getroffen, einfach um zu schauen, ob es passt. Angefangen habe ich mit Pressearbeit für die Duisburger Filmwoche. Man konnte anders schreiben, nicht so, wie man es häufig in klassischen Pressemitteilungen lesen konnte. Man hatte die Chance sich auszuprobieren und zu schauen, wie das dann bei den Leuten ankommt. Das war eine wertvolle Erfahrung für mein weiteres Berufsleben. Von dort kam ich in die Kommission der Filmwochen und zuletzt auch zur organisatorischen Leitung.
Wie passt das Genre der Musikvideos zu einem Filmfestival?
Manstetten: In den Hochzeiten des Musikfernsehens, wo Videoregisseure wie Spike Jones oder Chris Cunningham an der Tagesordnung standen, stellte man fest, dass auch hier in Deutschland das Musikvideo als eine Kunstform auf dem Vormarsch ist. Eine Kunstform, die mehr sein kann als nur promotion. Es gab viele Künstler/innen, die ganz unterschiedlichen Videos machten; viele waren durchaus experimentierfreudig. Grund für die Etablierung der Musikvideos beim Festival war also, dass sie sich abhoben von einer reinen Werbefunktion.
Das Genre wurde erstmal gut aufgenommen, bis es Anfang/Mitte der 2000er Jahre zu einer Durststrecke kam. Als die Videos noch nicht im Internet liefen, hatte man Schwierigkeiten, überhaupt noch Videos für diesen Preis zu finden. Sender wie Viva und MTV dankten ab und verschwanden von der Bildfläche. Als sich dann das ganze Geschehen ins Internet verlagerte, kam die Idee für einen Online Award, der dann im Jahr 2004 das erste Mal vergeben wurde. Generell sind Musikvideos eine außergewöhnliche, experimentierfreudige visuelle Form, die auch ein jüngeres Publikum anspricht.
Besteht die Möglichkeit, dass dieser Preis in Zukunft wieder in Oberhausen vergeben wird und nicht als Online Award?
Manstetten: Jetzt, wo MTV zurück ist, wird man sehen, ob Musikvideos wieder vermehrt im TV geschaut werden. Dafür bräuchte es aber die entsprechenden Programmgestalter/innen. Früher waren die Programme etwas kuratierter, es gab z.B. Formate wie „Twelve“, die 12 Songs zu einem Thema zeigten. Und auch der MuVi-Preis lief mal bei Viva. Das war damals etwas Besonderes, weil so etwas sonst nicht gezeigt wurde. Wir haben z.B. darauf bestanden, dass die Namen der Regisseur/innen eingeblendet werden, was durchaus unüblich war. Die heutigen Produktionen sprechen für sich. Viel mehr Budget und viel extravaganter. Aber auch viele mit Potenzial für einen Preis.
Gibt es ein Vorbild, das Sie sich während ihrer berufliche Laufbahn genommen haben?
Manstetten: Es gibt kein typisches Vorbild, so wie man es kennt, keinen Star oder eine besonders herausragende Person. Eher Festivals, die einen besonderen Eindruck bei mir hinterlassen haben: die Kurzfilmtage in Oberhausen und die Duisburger Filmwoche. Wie sich die beiden Festivals in die ganze Festivallandschaft eingegliedert und zum Teil auch abgehoben haben. Die Kurzfilmtage waren schon immer eher für ein Fachpublikum gedacht, also nichts, wo die Oberhausener Allgemeinheit hingeht. Ich mag es, dass die Kurzfilmtage so kompromisslos sind und man gefordert wird. Es ist etwas Besonderes: Filme, die zum Nachdenken anregen sollen und Stoff für eine Diskussion liefern, Film als Kunstform.
Das ist auch die nächste Besonderheit: die Diskussion nach dem Filmen. Die Duisburger Filmwoche räumt für die Diskussion jedes Films eine Stunde ein. Bei vielen Festivals gibt es eine Diskussion, aber meistens gibt es für mehrere Filme nur eine Stunde als Zeitlimit. Alle Filmemacher/innen werden zusammen auf die Bühne geholt und zu der Diskussion eingeladen. In Duisburg wird sich für jeden Film genug Zeit genommen.
Wie läuft denn ein Festival organisatorisch ab? Was steht alles an, um ein Festival zu planen?
Manstetten: Mit dem letzten Applaus eines Festivals fangen die Planungen für das Nächste an. Es beginnt eher gemütlich. Anfangs ist man nur ein bis zwei Mal pro Woche im Büro, doch je näher das Festival rückt, umso mehr ist zu organisieren. Als erstes werden die Anträge gestellt. Wenn dann Gelder da sind, wird überlegt, was für ein Thema behandelt werden soll. Natürlich ist es von Festival zu Festival anders, manche haben mehrere Programmschienen (Oberhausen) und manche nur eine (Duisburg). Je mehr Programme, desto mehr Leute braucht man. Für jede Schiene braucht man ein Team, das ein Programm zusammenstellt. Somit hat man eine Kommission, deren Mitglieder von Filmemacher/innen bis zu Filmwissenschaftler/innen reichen. Die unterschiedlichen Kommissionen haben die Aufgabe, alle eingereichten Filme zu sichten.
Oberhausen z.B. hatte im letzten Jahr mehr als 6000 Einreichungen. Aber es ist viel mehr damit verbunden als nur das Schauen. Jedem Film muss man gerecht werden, ihn vorbehaltslos anschauen und urteilen, ob er zum geplanten Programm passt. Bestimmte Kriterien müssen festgelegt werden, um die Auswahl auf z.B. ca. 60 Filme für den Internationalen Wettbewerb zu begrenzen. Zum Vergleich: in Duisburg werden rund 450 Filme eingereicht, von denen ca. 20 gezeigt werden.
Nach dem Programm folgen die ganzen organisatorischen Angelegenheiten. Gäste müssen eingeladen, die Vorführkopien überprüft, Reisen und Unterkünfte gebucht werden, etc. Für Oberhausen ist es eine große organisatorische Aufgabe, die Gäste aus aller Welt zu beherbergen. Jährlich werden dafür extra Stellen und Praktika ausgeschrieben, wie z. B. eine Assistenz im Gästebüro.
Dazu kommt noch, dass der Festivalkatalog fertiggestellt werden muss und vor dem Festival in den Druck geschickt wird. Die ersten Deadlines fallen an, die immer strenger werden, je näher das Festival rückt. Während des Festivals selbst fallen natürlich auch viele Arbeiten an, wie die Begrüßung der Gäste und Moderationen.
Wie wird ein Festival finanziell organisiert?
Manstetten: Stadt, Land… und Stiftungen. Das sind die drei wichtigsten drei Förderer eines Festivals. Früher wurde viel über Anzeigen gemacht, leider ist das Printgeschäft zurzeit nicht mehr so ergiebig wie früher. Die fehlenden Gelder müssen an anderer Stelle akquiriert werden, da kommen die Stiftungen ins Spiel. Viele Stiftungen haben bestimmte Auflagen, die erfüllt werden müssen, damit es Fördermittel gibt. Ein Beispiel ist die Europäische Filmförderung, die hilft, wenn 70% der Filme aus Europa kommen.
Was passiert, wenn die Gelder nicht reichen? Wenn die Förderer absagen? Gibt es einen Notfallplan?
Manstetten: Wenn eine Förderung miteingeplant ist und man am Ende doch ohne dasteht, ist das nicht gut. Leider kenne ich ein Festival, wo das der Fall war. In diesem Fall war das Festival in der Stadt sehr beliebt, weshalb die Bürger/innen nach Spenden gefragt wurden. Je besser das Festival in die Stadt eingegliedert ist, desto mehr unterstützen die Bürger/innen das Festival.
Wer muss für ein Festival Eintritt bezahlen?
Manstetten: Filmemacher/innen und Journalist/innen bekommen eine Akkreditierung und zahlen meistens nichts. Journalist/innen aus dem Grund, dass man will, dass über das Festival und natürlich auch über die Filme geschrieben wird. Gäste von anderen Festivals zahlen in der Regel einen bestimmten Betrag, abhängig von der Größe des Festivals. Oberhausen zum Beispiel nimmt 50 Euro. Zudem kommen dann noch Gäste, die die „Kaufkarten“ kaufen. Festivals, die publikumsfreundlich sind und eine gute Einbindung in die Stadt haben, haben es, was den Verkauf an Kaufkarten angeht, deutlich leichter.
Finden sie, dass Oberhausen ein „Schwellenproblem“ hat?
Manstetten: Wenn ein Festival nach Außen den Schein erweckt, dass dort nur Fachleute hingingen – gekoppelt mit einer Berichtserstattung, die dasselbe vermittelt –, trägt das dazu bei, dass normale Bürger/innen entweder kein Interesse haben es zu besuchen oder sich nicht trauen, sich als Laie unter die Fachleute zu begeben. Wenn man Film allerdings als Kunstform versteht, gibt es immer sehr unterschiedliche Meinungen, das gehört einfach dazu.
Wie überwindet man als Festival solche Schwellen?
Manstetten: Durch neue Programmschienen wie die MuVi-Programme oder den NRW-Wettbewerb wird der Weg etwas geebnet für einen Schwellendurchbruch. Musikvideos werden vermehrt von jüngeren Leuten geschaut. Das ist ein Anreiz, mehr Publikum zu dem Festival zu bekommen. Zudem bietet man Diskussionen an, die dabei helfen sollen, das Gesehene zu verstehen. Auch ich sitze manchmal im Saal und verstehe den gezeigten Film nicht vollends. Aber wie schon gesagt: Für mich ist genau das das Besondere.
Der durchschnittliche Kinobesucher schaut sich eher Blockbuster an als die hier thematisierten Kurzfilme. Warum wird hier so viel Wert auf den Kurzfilm gelegt?
Manstetten: Natürlich, Blockbuster schaue ich auch gerne. Was mir hier in Bezug auf die Festivals einfällt ist, dass es einen großen Unterschied macht, ob Kurz- oder Langfilme gezeigt werden. Das hängt damit zusammen, dass Erstere einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft haben. Der Kurzfilm ist zunächst aus den Kinos verschwunden; früher zeigte man ihn beispielsweise vor den eigentlichen Kinovorstellungen, sofern beide Filme inhaltlich etwa das gleiche Thema ansprachen. Nun muss man die Leute erst einmal neu an das Genre heranführen. Es wäre schön, wenn das funktioniert, denn es ist nicht einfach.
Sie sprechen von einem Heranführen an den Kurzfilm. Genau das ist es, was Sie in Ihrem Programm „KinoEulen“ tun. Können Sie uns etwas über den Entstehungsprozess und die Idee hinter der Veranstaltung erzählen?
Manstetten: Die KinoEulen entstanden, als mir kurz nach meinem Umzug nach Essen auffiel, dass es dort kein Programm gab, um Kinder den Kontakt zu Filmen, insbesondere zu Kurzfilmen zu ermöglichen. Das kam sehr gelegen, da ich gerne ein neues Projekt starten wollte, aber darauf achten musste, dass anderen Festivals oder Veranstaltungen kein Publikum abgeworben wird. Mit Filmen speziell für Kinder hatte ich schon zu meiner Zeit als Übersetzerin zu tun. Bei Festivals werden die Untertitel nichtdeutscher Filme direkt in den Saal gesprochen, da die Kinder meist noch nicht lesen können. Genau das war damals meine Aufgabe.
So konnte ich also eine große Zahl an Kinderfilmen sehen. Dabei habe ich bemerkt, dass Kinder viel freier und offener und ohne wirkliche Erwartungen in einen Film gehen, als das manchmal bei Erwachsenen der Fall ist. Ich wollte also vor allem den kleinen Zuschauer/innen den Kontakt zu Kurzfilmen und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen ermöglichen, aber so ein Projekt stellt man natürlich nicht allein auf die Beine. Hier kam mir eine glückliche Zufallsbegegnung auf einer Party zugute. Katrin Posse, eine ehemalige Studienkollegin, war nach einem Gespräch begeistert von der Idee und war direkt mit im Boot. Die Kombination ist toll, da Katrin sich für Finanzen interessiert und dort den Überblick behält, während ich (bei Festivals) Filme recherchiere. Die ersten Anträge für finanzielle Mittel, die man unbedingt braucht, haben wir natürlich gemeinsam gestellt. So gingen wir also zum Kulturamt der Stadt und stellten unsere Idee vor: Kurzfilme für Kinder mit Moderation, Filmwissen und Medienkompetenz. Unsere Idee fand großen Anklang, vielleicht aufgrund ihrer Klarheit, jedenfalls wurden wir mit einem, wenn auch für unser Vorhaben kleinen, Budget unterstützt. Im Anschluss daran fanden wir noch weitere Sponsoren und gewannen die Zeche Carl als Träger. Das war super, da die Mitarbeiter/innen dort beispielsweise das Stellen von Anträgen für uns übernahmen und wir uns vorerst mehr auf den Inhalt und Werbung konzentrieren konnten. Wenn man eine kulturelle Veranstaltung organisieren möchte, sollte man sich unbedingt darauf konzentrieren Partner zu finden, die helfen, selbst begeistert sind und sich auch für das Vorhaben einsetzen. Die Zeche Carl konnte ebenfalls von unserem Programm profitieren, da es bereits Musik- und Theaterveranstaltungen für Kinder gab, jedoch noch keine Filmveranstaltung.
Nach zwei Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit wurde der bürokratische Aufwand verständlicherweise zu hoch für die Mitarbeiter/innen der Zeche, weshalb uns geraten wurde, uns als Verein selbstständig zu machen. Wir informierten uns, was zu tun ist, was enorm viel Arbeit war, haben aber letztendlich einen Verein gegründet und sogar die Allgemeinnützigkeit anerkannt bekommen. Nach erneuten Anträgen für Gelder stand uns als Verein sogar ein größeres Budget als vorher zur Verfügung, bereitgestellt durch das Ministerium für Kultur. Der Aufwand, was Anträge und das Nachweisen von Ausgaben angeht, ist natürlich riesig. Aber da wir beide in einem Beruf arbeiten, der es uns ermöglicht, unsere Zeit flexibel einzuteilen, können wir die Aufgaben stemmen. Wenn ich zur Festivalzeit, beispielsweise in Oberhausen, zeitlich enger getaktet bin, übernimmt Katrin mehr Arbeit, genauso tue ich das zu anderen Zeiten. Vor allem die Möglichkeit, allein über das Programm zu entscheiden und eine positive Rückmeldung von Kindern wie auch Eltern zu bekommen, motiviert uns und bereitet zudem unheimlichen Spaß.
Wie sieht die Rückmeldung seitens der Kinder und deren Eltern aus?
Manstetten: Die Kinder sind meist von Anfang an begeistert. Viele kommen wiederholt zu Vorstellungen, was daran liegt, dass wir immer neue Filme und Erfahrungen bieten, die hängen bleiben. Eine Mutter erzählte uns einmal, dass ihr Kind zwei Monate nach dem Kinobesuch plötzlich über einen Film sprach, an den es sich erinnerte.
Schwierig wird es, wenn man versucht, Grundschulen zu gewinnen, da die Lehrer/innen und ihre Klassen häufig nicht über die Zeit oder das Personal verfügen, außerunterrichtliche Aktivitäten in Form von Ausflügen wahrzunehmen. Lust und Neugier sind jedoch immer gegeben, weshalb wir auch schon in Schulen gegangen sind um unser Programm zu zeigen. An dem Problem, das im Rahmen der Schulausbildung keine Zeit für kulturelle Erfahrungen vorgesehen ist, sollte unbedingt gearbeitet werden.
Die Kitas hingegen verfügen über diese Zeit und besuchen unsere Veranstaltungen regelmäßig.
Sie haben angedeutet, dass im Anschluss an die Filmvorführungen eine Diskussion stattfindet. Wie kann man sich das vorstellen?
Manstetten: Unsere Vorführungen beschäftigen sich meist mit einem bestimmten Thema, z.B. die Rollenbilder, in denen die Figuren stecken, die sie aber zurücklassen wollen, oder verschiedene Kulturen. Wir staffeln die Kinder in Altersgruppen; je nach Gruppe verändert sich natürlich die Diskussion. Meist wird zu Beginn gefragt, wie den Kindern der Film gefallen hat, was schon verschiedene Meinungen und Ideen zum Inhalt aufkommen lässt. Kinder sind offener und sehr aktiv. Wir reden auch über Dinge wie Farben und Ton, um ein bisschen darauf zu kommen, worauf es beim Filmemachen ankommt. So kriegen die Kinder – und das ist uns besonders wichtig – eine Idee davon, was Film ist und was er sein kann, abgesehen von den Mainstream-Blockbustern, die sie sonst sehen. Bei den Kleinen kann man auch noch etwas auslösen, das funktioniert bei Erwachsenen nicht mehr so einfach. Manchmal sind es die Eltern, die bestimmte Filme schwierig finden, weil es beispielsweise um den Tod geht, allerdings verpackt in einem Zeichentrickfilm. Das ist ein Thema, das Kindern genauso in jedem Comic begegnet. Kinder sehen, im Gegensatz zu den Eltern, viele „schwierige“ Themen wie zum Beispiel den Tod nicht als etwas Schlimmes an und können damit in Form eines Films super umgehen.
Diese Art von Veranstaltung ist auch wichtig für die politische Bildung, oder? Manchmal sind Erwachsene festgefahren in ihrer Meinung und geben eben diese an ihre Kinder weiter.
Manstetten: Genau, das ist die Idee: unterschiedliche Kulturen kennenlernen, meist durch Protagonist/innen, mit denen sich die Kleinen identifizieren können. Kinder sind begeistert, wenn sie von neuen Ideen erfahren und ihr eigenes Wissen mit einbringen können. Die Gruppen sind kulturell gemischt. Es meldet sich zum Beispiel plötzlich ein Kind, während wir einen spanischen Song hören und sagt „Ich verstehe das!“, weil seine Eltern ursprünglich aus Spanien stammen. Das ist sicher ein Erfolgserlebnis. Eine weitere Idee ist, etwas gemeinsam auf der Leinwand zu schauen. Man schaut nur noch allein, vielleicht noch mit der Familie, sei es Fernsehen oder ein Film auf dem Computer. Zusammen im Kino einen Film zu schauen und darüber zu sprechen ist natürlich etwas ganz Anderes und für viele Kinder etwas Neues.
Wie entstand der Name der KinoEulen?
Manstetten: Oh, wir haben lange überlegt. Ich kam nach einiger Zeit auf den Titel, weil ich im Internet einen Link mit „Eulen“ im Titel gefunden habe, aber in Bezug auf das Lesen, „Leseeulen“ oder so ähnlich. Irgendwann hatten wir die Idee, dass Kino und Eulen durch die Dunkelheit im Saal super zusammenpassen. Dann haben wir gegoogelt, den Titel gab es noch nicht, woraufhin wir uns die Domain gesichert haben. Es war also ein Brainstorming, irgendwann hat es „klick“ gemacht.
Julia, unsere Grafikerin, hat schöne Flyer entworfen, auf denen die Eule immer zu sehen ist, thematisch passend zu dem jeweiligen Thema der Filme. Beim Thema „Nicht mehr allein“ hat Julia beispielsweise ganz viele kleine Eulen gezeichnet. Im aktuellen Programm, „Wilde Träume“, träumt die Eule.
Also arbeiten noch ein paar Leute hinter den Kulissen am Programm KinoEulen mit?
Manstetten: Genau, man braucht auf jeden Fall jemanden, der Grafiken erstellen kann und auch selbst Ideen hat. Dann gibt es noch jemanden, der unsere Website designet hat. Zudem sind Kontakte zur Presse wichtig um Werbung zu betreiben. Man braucht auch Verbindungen zu Filmfestivals, nicht nur, um sich über Kinderfilme zu informieren, sondern auch, um das Programm zu erweitern. Im Rahmen eines Kinderfilmfestivals haben wir zum Beispiel auch einen Workshop zur Postproduktion angeboten. Das war unsere erste Workshop-Erfahrung, dies würden wir langfristig gerne ausbauen. Man schaut sich stets in der Region um, was bereits existiert, was es noch nicht gibt und knüpft so Kontakte, um neue Vorstellungen und Programme auf die Beine zu stellen.
Gibt es Pläne, mit den KinoEulen in andere Städte zu expandieren?
Manstetten: Ja, neulich sind wir bei der Kulturreferentin der Stadt Gelsenkirchen vorstellig geworden, weil es dort noch kein vergleichbares Programm gibt. Sie war begeistert und nun gibt es ab 2019 regelmäßige Kita-Vorstellungen in Gelsenkirchen. Das ist natürlich auch super, weil man durch eine Verbreitung erneut Gelder bekommen kann, die wiederum helfen, das Programm auszubauen.
Wie tritt man an Kindergärten oder Kitas heran?
Manstetten: In Essen war es so, dass die Zeche Carl durch vorherige Projekte Kontakte zum Jugendamt hatte, das wiederum einen Flyer mit aktuellen Angeboten an die Kitas sendet. Von dort kommen manchmal auch Rückmeldungen wie „Die Kinder gucken doch schon so viel.“. Dann muss man natürlich erklären, dass es genau darum geht: dem einsamen Schauen das kollektive Schauen mit Diskussion gegenüberzustellen.
Die meisten Kinder haben zu Kindergarten- und Schulzeiten kaum Filme gesehen, vor allem nicht jenseits des Mainstream-Kinos. Wie war das bei Ihnen?
Manstetten: Das war zu meiner Zeit nicht anders. Ich habe ein Gymnasium in Oberhausen besucht, aber von den Kurzfilmtagen habe ich nichts gewusst, obwohl es eine geniale Gelegenheit gewesen wäre.
Bei Filmfestivals wie in Oberhausen gibt es in den Diskussionen allerdings auch Personen, die sehr hochgestochen reden, um ihr eigenes Wissen zur Schau zu stellen, oder?
Manstetten: Ja, die gibt es immer wieder. Man kann noch so klug sein, der Fokus sollte immer auf dem Publikum liegen, demnach sollte sich ein Beitrag zur Diskussion vor allem an dieses anpassen. Kein normaler Kinogänger hat Lust, sich an einer Diskussion zu beteiligen, die lediglich aus Fachbegriffen besteht. Zudem ist hier die Hemmschwelle viel zu hoch, das kenne ich auch. Meiner Meinung nach kann man alles, was es zu sagen gibt auch so ausdrücken, dass es jeder verstehen kann.
Wie kommen junge Leute denn beruflich in den Festival-Betrieb? Was gibt es für Einstiegsmöglichkeiten?
Manstetten: Durch Praktika, Jobs, oder persönliche Gespräche bei Festivals selbst. Zu Beginn mag es nicht einfach sein, durch Honorarverträge, geringe oder keine Bezahlung, das ist wirklich ein Problem. Bleibt man jedoch dran, bringt sich ein, lernt Leute kennen und etabliert sich in der Branche, kann man sich ein sicheres Einkommen aufbauen. Das erfordert allerdings viel Eigeninitiative und Disziplin.
Zuletzt noch eine persönlichere Frage: Haben sie einen Lieblings Kurzfilm?
Manstetten: Das ist eine schwierige Frage. Ein Film, der sehr hängen geblieben ist, war ein Kinderfilm mit einem Elefanten als Protagonisten. Er sieht ein Fahrrad auf einem Plakat, spart, bis er es sich kaufen kann, um dann festzustellen, dass es nicht genau so groß ist, wie auf dem Plakat abgebildet. Daraufhin verschenkt er das Fahrrad an ein kleines Mädchen, da er selbst zu groß ist, um darauf zu fahren. Aber es gibt so viele wunderbare Filme, das ist wirklich eine schwierige Entscheidung. Ein zweiter Film ist ebenfalls für Kinder, funktioniert aber auch super für Erwachsene: „Hüpffrosch“ (pryg-skok) heißt er, von Leonid Shmelkov; man kann ihn auch online schauen. Es ist eine Geschichte über Freundschaft in einem sehr surrealen Setting. Der Film wurde schon öfter bei den KinoEulen und auf vielen internationalen Filmfestivals gezeigt.