Roten Teppich und Blitzlichtgewitter gibt es nicht nur in Berlin, Cannes oder Venedig, sondern auch im Ruhrgebiet: Zwischen Duisburg und Dortmund sind zahlreiche renommierte Filmfestivals zuhause – Prominenz, Glamour und ,,große Klappe” inklusive. Vor allem jedoch bestechen sie durch Charakter, Profil und beeindruckende Bandbreite.


Da gibt es viele Festivals, die Historisches zutage fördern oder Newcomer unterstützen, Festivals, die zur Diskussion und zum Experiment einladen oder für gesellschaftliche Ziele kämpfen.
,,Als ich 1988 ins Ruhrgebiet kam, dachte ich: Das ist der spannendste Ort der Welt”, sagt die Medienwissenschaftlerin Dr- Hilde Hoffmann von der Ruhr-Universität Bochum. Die enorme Vielfalt der Filmfestivals führt sie vor allem auf die großen Freiräume in der durch industrielle Schwerstarbeit und Strukturwandel so geprägten Region zurück.
Obgleich die Festivals der Metropole Ruhr ganz unterschiedliche Akzente setzen, stehen sie vor ähnlichen Herausforderungen. Nach zwei von Corona-Einschränkungen geprägten Jahren öffnen sie endlich wieder ihre Tore. Bleibt die Frage: Verlässt das Publikum das bequeme Sofa, um live Premierenluft zu schnuppern?
Die Veranstalter des Kinofests Lünen sind trotz ausgefallener Saison 2020 und einem eingeschränkten Festival 2021 zuversichtlich: Selbst im vergangenen Jahr seien 3.000 Gäste und Dutzende von Filmschaffenden gekommen, um die für Lünen typische Wohlfühlatmospähre zu genießen. ,,Wir planen für diesen November uneingeschränkt groß, haben aber ein Auge auf mögliche Corona-Szenarien”, verrät Sprecherin Paula Döring.
Kritischer betrachtet Dr. Lars Henrik Gass, Festival Direktor der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen die Entwicklung: ,,Das Interesse an Kino und Kultur ist seit Beginn der Corona-Pandemie enorm eingebrochen.” Das mit über 60 Jahren älteste Kurzfilmfestival der Welt fand im vergangenen Frühjahr teils online, teils in Präsenz statt. Ein Szenario für die Zukunft? Richtungsweisend war das festival schon 1962 – damals unter dem Namen Westdeutsche Kurzfilmtage: 26 namenhafte Filmemacher unterzeichneten das “Oberhausener Manifest§, in dem sie die Erneuerung des deutschen Films, bessere Produktionsbedingungen und Befreiung vom kommerziellen Druck forderte. Mit Erfolg: Erstmals wurde eine deutsche Filmförderung etabliert – die Basis für den Neuen Deutschen Film, der statt bloßer Unterhaltung Denkanstöße liefern wollte.
Und heute? ,,Kurzfilm ist durch die sozialen Medien mehr denn je Bestandteil der digitalen Alltagskultur; er ist gleichsam allgegenwärtig”, beobachtet Dr. Lars Henrik dass. Als sozialisierende oder gärkünstlerische Kraft aber habe Film Stark an Wirkung verloren. ..Kurze Videos sind heute eher Ausdruck einer im hohen Maße narzisstischen, von Konsummaßstäben geprägten Gesellschaft.” Umso wichtiger erscheint es, mit einem Festival für den künstlerischen Kurzfilm einen Kontrapunkt zu den filmischen Selbstdarstellungen auf digitalen Plattformen zu setzen.


Zum Blickwechsel anregen

Ein Gegengewicht bilden, Meinungsbildung fördern – das wollte und will auch der Verein Klack Zwo B. Er brachte 1989 das Videomagazin ,,Die aktuelle Monatsschau” als Vorprogramm zum 20 Uhr-Film auf die Leinwand des Bochumer endstation.kino. ,,Wir haben über das berichtet, was uns interessiert hat – ob Stadtpolitik, Wohnungsnot oder Geflüchtete”, erinnert sich Gabi Hindeberger. Mit dem blicke-Filmfestival schuf der Verein einen Ort, an dem auch andere ihre Filme zeigen konnten. Damals wie heute sielt das Ruhrgebiet als Bezugsgröße eine wichtige Rolle. Typisch “blicke” ist ferner die rege Diskussion mit dem Publikum – ,,eine Interaktion, die es so im Internet nicht gibt”, sagt die Festival-Mitbegründerin. Auch wenn heute vor allem ästhetisch anspruchsvolle Beiträge im Fokus stehen, geht es dem blicke-Team gleichermaßen um Inhalte, denn: ,,Ein Film kann künstlerisch wertvoll und zugleich politisch sein.”
Während die blicke im November ihr 30.Jubiläum feiern, steigt das Internationale FrauenFilmFest DortmundKöln im kommenden Jahr schon zum 40.Mal. Als größtes deutsches Festival dieser Art, will es Frauen und ihren Einfluss in der Filmbranche stärken. ,,Geballte feministische Power” betrachtet Festivalleiterin Maxa Zoller als besonders wichtig angesichts des ,,ungeheuerlich konservativen Backlashes” in jüngster Zeit. Das Festival will geschlechtspsezifisch Machtstrukturen aufdecken, die sich, wie Maxa Zoller formuliert, manchmal offen, in Europa jedoch meist subtil präsentieren. Mit ,,kraftvollen, sinnlichen, mutmachenden Gegenbildern” will es den Druck von der jungen Generation nehmen, sch den Anforderungen anzupassen, die soziale Medien transportieren. Die Leiterin des FrauenFilmFest ist zuversichtlich: ,,Die Ruhrregion bietet viele Inhalte und ein großartiges Publikum für dieses Kino der anderen Art.”
Davon ist auch Tom Bohn überzeugt, der mit seinem Snowdance Independant Filmfestival – in Anspielung auf das US_amerikanische Sundance Film Festival – aus dem bayerischen Landsberg ins Ruhrgebiet zog. ,,Wir haben gespürt, dass es uns dort auf Dauer zu eng werden könnte”, sagte Bohn. In Essen habe es sofort gefunkt. Anfang 2023 soll das Festival für unabhängige Filmschaffende hier erstmals über die Leinwände gehen. Noch ein Filmfestival im Ruhrgebiet? In Bezug auf die Bevölkerungsdichte habe das Ruhrgebiet sogar eigentlich zu wenige Filmfestivals, konterte Bohn, der mit dem Indie-Festival neue Wachstumsimpulse setzen möchte. Auf dem Programm stehen Filme, die ohne Einfluss von Fernsehanstalten und Geldern von großen Studios entstanden sind. Im Mittelpunkt soll der Austausch zwischen Filmschaffenden und Publikum stehen.

,,Die Ruhrregion bietet viele Inhalte und ein großartiges Publikum für dieses Kino der anderen Art” – Tom Bohn


Duisburg – Mekka des Dokumentarfilms

Auf öffentlichen Diskurs setzt gleichwohl die Duisburger Filmwoche.Im Anschluss an die Vorführungen von Dokumentarfilmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz finden Podiumsdiskussionen mit dem Publikum statt, die in den ,,Duisburger Protokollen” festgehalten und archiviert werden. Das Duisburger Festivals jedoch nicht nur Gedächtnis des Dokumentarfilms, sondern auch Anlaufstelle für Filmschaffende: ,,Selbst wenn sie aktuell keinen Film haben, kommen sie zum Festival, denn es ist eine wichtige Plattform, um sich auszutauschen”, sagt Pressereferentin Mareike Theile. Die Bandbreite der Beiträge sei in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen. ,,Es gibt mehrere Mischformen, die Genregrenzen verschwimmen. Der Dokumentarfilm ist experimentierfreudiger geworden.”


Meist dokumentarisch, zuweilen aber auch im Spielfilmformat, präsentieren sich die Beiträge der Reihe IndustrieFilm Ruhr. Das Kleinod unter den Filmfestivals huldigt in diesem Herbst bereits zum 25. Mal der industriellen Vergangenheit der Region. Das Konzept ist bundesweit einmalig. Unternehmen und Museen zeigen ausgewählte Schätze aus ihren Archiven: Szenen von der Maloche am Hochofen und aus dem Bergbau, Filme zu Arbeitssicherheit und Unfallverhütung und viele andere bewegte Bilder aus frühere Zeiten präsentieren und diskutieren Expertinnen und Experten mit dem Publikum. Spannend nicht nur für Zeitzeugen, sondern insbesondere für die jüngere Generation.