051 723 Kittlersound: Medienarchäologie und Musik, 2st., Mi 14-16, GBCF 04/514, Gegenstandsmodul: Rundfunk, Systematisches Modul: Ästhetik & Technik
Kommentar
Die Medienarchäologie erfindet sich in den 1980er Jahren als fröhliche Wissenschaft und bekennt sich damit zu einer emphatischen Diesseitigkeit, für die unter anderem diverse Bezüge auf musikalische Hörerlebnisse zu bürgen scheinen. Autoren wie Friedrich Kittler, Norbert Bolz und Wolfgang Scherer attackieren die aus ihrer Sicht transzendenzverliebten Geisteswissenschaften und die asketische Frankfurter Schule, indem sie ihnen ein Denken der Ekstase entgegensetzen: Rausch statt Sinn, LSD statt kritisches Bewusstsein, Verstärkersound statt Lektüre. Wie selbstverständlich zitieren ihre Texte dafür seit den späten 1970er Jahren neben Goethe und Schiller auch Heldinnen und Helden der Popmusik: Jim Morrison und Kate Bush, King Crimson und die Talking Heads. Der Soundtrack der Medienarchäologie hat heute internationalen Wiedererkennungswert: kein Buch über Kittler ohne Hinweis auf Pink Floyd.
Kittlers Liebe zur Musik beschäftigt ihn sein Leben lang und informiert viele Schlüsselstellen seiner Arbeit. Er widmet ihr schließlich sein unvollendetes Spätwerk, eine musikalisch-mathematische Seinsgeschichte von Homer bis Jimi Hendrix. Dieser Entwurf eines psychedelisch-erotischen Neuanfangs des Abendlandes knüpft direkt an die Trips aus seiner Jugend an: aus Kopfhörern und Lautsprechern klingt Mathematik, in Electric Ladyland kehrt über den Umweg Richard Wagner schließlich Pythagoras auf Acid wieder.
Wenngleich Kittlers Zugang zu Musik in vieler Hinsicht als idiosynchratisch zu bezeichnen ist, sind seine Konzepte akustischer Medien für den deutschsprachigen Diskurs der Sound Studies bis heute einflussreich und wichtig. Die Lehrveranstaltung stellt zentrale Texte vor und diskutiert Entwürfe musikalischer Medialität zwischen Technik, Physiologie und Hermeneutik